Vertragswerkstatt vs. freie werkstatt

Kann ich mein Auto auch während der Herstellergarantie zur Inspektion in eine freie Werkstatt bringen, ohne die Garantie zu verlieren?

Viele Autobesitzer stehen früher oder später vor der Frage, ob sie ihr Fahrzeug zur Inspektion und Wartung ausschließlich in eine Vertragswerkstatt bringen müssen – insbesondere dann, wenn noch eine Herstellergarantie besteht. Die Angst vor einem möglichen Garantieverlust führt häufig dazu, dass Fahrzeughalter auf freie Werkstätten verzichten, obwohl diese oft kostengünstiger sind. Doch ist diese Sorge berechtigt? Welche Rechte haben Sie als Verbraucher und worauf müssen Sie achten, wenn Sie die Werkstattwahl selbst treffen möchten? Dieser Artikel klärt umfassend auf.

Rechtliche Grundlagen: Was die EU-Verordnung und BGH-Urteile besagen

Die EU-Verordnung 461/2010

Die EU-Verordnung Nr. 461/2010, auch bekannt als Gruppenfreistellungsverordnung für den Kraftfahrzeugsektor, schützt die Rechte von Autobesitzern im europäischen Binnenmarkt. Sie besagt, dass die Herstellergarantie nicht erlischt, wenn Wartung und Inspektion von einer freien Werkstatt durchgeführt werden – vorausgesetzt, bestimmte Bedingungen werden eingehalten. Ziel dieser Regelung ist es, Wettbewerb zu fördern und Verbrauchern eine freie Werkstattwahl zu ermöglichen.

Aktuelle Rechtsprechung

Auch deutsche Gerichte, wie etwa der Bundesgerichtshof (BGH), haben in mehreren Urteilen bestätigt, dass Fahrzeughalter keinen Garantieverlust befürchten müssen, solange die Arbeiten sachgemäß und nach Herstellervorgaben ausgeführt werden. Ein Garantieausschluss allein aufgrund der Wahl einer freien Werkstatt ist unzulässig.

Unterschied zwischen Garantie und Gewährleistung

Es ist wichtig, zwischen der gesetzlichen Gewährleistung und der freiwilligen Herstellergarantie zu unterscheiden:

  • Gewährleistung: gesetzlich geregelt (24 Monate bei Neuwagen), gilt für Mängel, die bereits bei Übergabe vorhanden waren.
  • Herstellergarantie: eine freiwillige Leistung des Fahrzeugherstellers, oft mit eigenen Bedingungen verknüpft.

Während die Gewährleistung unabhängig von der Werkstattwahl besteht, kann die Herstellergarantie unter bestimmten Umständen an Bedingungen geknüpft sein.

Inspektion und Wartung in der freien Werkstatt: Worauf Sie achten müssen

Arbeiten nach Herstellervorgaben

Die freie Werkstatt muss die Inspektion strikt nach den Herstellervorgaben durchführen. Diese umfassen:

  • Art und Umfang der Wartung
  • Intervalle
  • Spezifische Prüf- und Austauschmaßnahmen

Erfragen Sie bei der Werkstatt, ob diese über entsprechende Daten und Zugänge verfügt.

Dokumentation im Serviceheft

Lückenlose Dokumentation ist essenziell. Jede Inspektion sollte ordnungsgemäß im Serviceheft eingetragen und ggf. digital vermerkt werden. Nur so lässt sich der Nachweis im Garantiefall erbringen.

Verwendung passender Ersatzteile

Die Verwendung von gleichwertigen Ersatzteilen ist erlaubt. Diese müssen nicht zwingend Originalteile sein, aber die Qualität muss den Herstellervorgaben entsprechen. Andernfalls kann es zu Problemen im Garantiefall kommen.

Vorlage der Rechnung

Eine detaillierte Rechnung der freien Werkstatt hilft, die durchgeführten Arbeiten transparent nachzuweisen. Sie sollte folgende Angaben enthalten:

  • Datum und Kilometerstand
  • Durchgeführte Leistungen
  • Verwendete Ersatzteile (mit Teilenummern)

Neuwagen vs. Gebrauchtwagen: Gibt es Unterschiede?

Neuwagen

Bei Neuwagen liegt häufig der Fokus auf der Einhaltung aller Bedingungen, um Garantieansprüche nicht zu verlieren. Hier ist besondere Sorgfalt bei der Wahl der Werkstatt und der Dokumentation erforderlich.

Gebrauchtwagen

Bei Gebrauchtwagen kann es sein, dass die Herstellergarantie bereits abgelaufen ist oder nur noch anteilig besteht. Prüfen Sie hier genau die Garantiebedingungen und ob eine verlängerte Garantie abgeschlossen wurde. Auch in diesem Fall gelten die Anforderungen an die Werkstattwahl und Dokumentation.

Kulanz und Sonderfälle: Was Sie wissen sollten

Kulanz – eine freiwillige Leistung

Kulanzleistungen seitens des Herstellers sind nicht einklagbar. Hier entscheidet der Hersteller freiwillig, ob er sich an Reparaturkosten beteiligt – z. B. nach Ablauf der Garantie.

Eine regelmäßige Wartung in der Vertragswerkstatt kann die Wahrscheinlichkeit für Kulanzentscheidungen erhöhen. Freie Werkstätten sind in diesem Kontext oft ein Nachteil.

Leasingfahrzeuge

Bei Leasingfahrzeugen bestehen häufig vertragliche Verpflichtungen, Wartung und Inspektion ausschließlich in Vertragswerkstätten durchführen zu lassen. Ein Verstoß kann zu Vertragsstrafen oder Nachforderungen führen.

Serviceverträge

Haben Sie einen Servicevertrag mit dem Hersteller oder Händler abgeschlossen, sind darin in der Regel bestimmte Werkstätten vorgeschrieben. Auch hier ist die freie Wahl eingeschränkt.

Vorteile und mögliche Nachteile der freien Werkstatt

Vorteile

  • Kostenersparnis: Freie Werkstätten sind oft günstiger, was bei regelmäßiger Wartung erhebliche Summen sparen kann.
  • Flexibilität: Sie können die Werkstatt frei wählen, ohne auf die meist dicht getakteten Termine der Vertragswerkstätten angewiesen zu sein.
  • Individuelle Betreuung: Kleinere freie Werkstätten bieten häufig einen direkteren Kundenkontakt.

Mögliche Nachteile

  • Eingeschränkte Kulanzbereitschaft des Herstellers
  • Kein Zugang zu bestimmten Software-Updates oder Herstellerservices

Tipps für die Werkstattwahl: So finden Sie die richtige freie Werkstatt

Qualifikation und Ausstattung

Achten Sie darauf, dass die freie Werkstatt modern ausgestattet ist und über geschultes Personal verfügt. Zertifikate wie „Meisterbetrieb der Innung“ oder Spezialisierungen auf bestimmte Marken sind gute Hinweise.

Transparente Angebote

Ein detaillierter Kostenvoranschlag sollte selbstverständlich sein. Vergleichen Sie Angebote – ein Preisvergleich lohnt sich.

Nachweise und Dokumentation

Bestehen Sie auf eine ausführliche Rechnung und die Eintragung im Serviceheft. Fragen Sie gezielt nach der Einhaltung der Herstellervorgaben und verwendeten Ersatzteilen.

Kundenbewertungen und Empfehlungen

Online-Bewertungen, Empfehlungen aus dem Bekanntenkreis oder Testberichte von Automobilclubs (z. B. ADAC) können bei der Werkstattwahl helfen.

Fazit: Was Autobesitzer wissen sollten

Ja, Sie dürfen Ihr Fahrzeug während der Herstellergarantie zur Inspektion in eine freie Werkstatt bringen – ohne automatisch einen Garantieverlust befürchten zu müssen. Entscheidend ist, dass die Wartung nach Herstellervorgaben erfolgt, dokumentiert und mit passenden Ersatzteilen durchgeführt wird.

Während freie Werkstätten Vorteile beim Preis und in der Flexibilität bieten, kann es bei Kulanz oder Mobilitätsgarantie Einschränkungen geben. Bei Leasingfahrzeugen und Serviceverträgen gelten zudem oft strengere Vorgaben.

Informieren Sie sich im Vorfeld genau, vergleichen Sie Angebote und stellen Sie sicher, dass alle Arbeiten transparent dokumentiert werden. So bleibt Ihre Herstellergarantie erhalten und Sie profitieren gleichzeitig von den Vorteilen einer freien Werkstatt.

Hinweis: Dieser Artikel stellt keine Rechtsberatung dar. Im Zweifelsfall sollten Sie sich rechtlich beraten lassen oder direkt beim Hersteller nachfragen.

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